Schilderung des Inhalts
Das umfangreiche Buch entfaltet sein Thema in
24 Kapiteln und ist eingeteilt in vier Teile: 1. Ihr
habt gehört, dass gesagt ist – die traditionelle
Auffassung; 2. Das Geheimnis des fehlenden
Punktes – die traditionelle Auffassung unter der
Lupe; 3. Der Weg der Weisheit; 4. Die großen
Lebensentscheidungen – Das Weisheitsprinzip
angewendet.
Im Zentrum seiner Darstellung steht eine
Einteilung von Gottes Willen in drei verschiedene
Bereiche – als da sind:
a) Der souveräne Wille Gottes – „Gottes ewiger,
geheimer Ratschluss, der den Verlauf der
Geschichte bestimmt.“ (Friesen 22) Also, das, was
er sich im Blick auf die Weltgeschichte „in
großem Stil“ ausgedacht hat, und was er, allen
teuflischen und menschlichen Widerständen
zum Trotz, in jedem Falle zur Ausführung bringen wird. Dazu gehört die gesamte
Heilsgeschichte von Abraham über Christus bis
hin zur Neuschaffung von Himmel und Erde.
b) Der ethische Wille Gottes – wie er oft als
Prinzip in den Geschichten, oder als Anweisung
in den Geboten und Willensäußerungen Gottes
in der Heiligen Schrift geoffenbart und verankert
ist.
c) Der individuelle Wille Gottes – „Gottes
idealer, alle Einzelheiten umfassender Plan, der
auf jeden Menschen individuell zugeschnitten
ist“ (Friesen 22) – und wie er von vielen Christen
als existent angenommen wird: Führung durch
„persönliche Bibelworte“ und Verheißungen;
durch Bilder, Eindrücke und Visionen; durch
Ratschläge von Brüdern und Schwestern; durch
das „Schieben“ von Umständen und
Verhältnissen etc. Und genau diesen Bereich leugnet Gary Friesen
und ersetzt ihn durch das, was er „das Prinzip
der Weisheit“ nennt – die Anwendung von
Gottes Wort bzw. biblischer Prinzipien auf
bestimmte Lebenssituationen und Lebensentscheidungen, wie zum Beispiel Heirat oder
Berufswahl oder das Anvisieren einer
theologischen Ausbildung mit anschließendem
vollzeitlichen Dienst, beim Geben und bei
unterschiedlichen Meinungen in der Gemeinde.
Seine These läuft darauf hinaus, dass der
traditionelle Weg viele Defekte aufweist und es
in vielen Fällen mehr als einen Weg gibt, den wir
einschlagen können, und dass Gott es uns
überlässt, im Licht seines Wortes, göttlicher
Gebote und biblischer Prinzipien weise und
angemessene Entscheidungen zu treffen.
BEWERTUNG INNERER ASPEKTE
(Logik und Stil)
Zu Anfang erscheint die gebotene These total
überzogen und extrem – man gewinnt fast den
Eindruck, der Autor habe ein deistisches
Gottesbild: Gott hat uns sein Wort hinterlassen
und sich ansonsten davongemacht. Nun sollen
wir schauen, wie wir zurechtkommen – freilich
unter Anwendung des Weisheitsprinzips
Dann aber staunt man immer mehr, wenn man
sieht, wie diese Sicht Seite um Seite durch viele
biblische Beispiele intelligent untermauert wird –
zum Beispiel am Leben und Dienst des Apostels
Paulus und seiner ausgedehnten Missionsreisen.
Der Stil des Buches (bzw. der Übersetzung) ist
der einer zwar einerseits schon anspruchsvollen,
aber doch gut verständlichen Abhandlung für
jedermann. Für den theologisch Interessierten
bietet sie aber darüber hinaus allerhand an
Material zum Nachschlagen und Studieren. Das
Buch liest sich flüssig und streckenweise auch
unterhaltsam. Ich persönlich habe es schon
zweimal gelesen.
Darstellung der Stärken
Die große Stärke des Buches ist der erfrischend
andere Ansatz, wie der Wille Gottes zu finden und
durchzuführen sei. Dazu gehört auch eine
deutliche Infragestellung des traditionellen
Ansatzes mit seiner starken Subjektivität.
Was das Buch innerlich mit einem tut, lässt sich am
besten zusammenfassen mit folgendem Satz
daraus: „Erleichterung buchstabiert man
so: F – R – E – I – H – E – I – T.“ (Friesen 126) Als
jemand, der sich über den Willen Gottes in vielen
konkreten Fragen seines Lebens auch eher
jahrzehntelang den Kopf zerbrochen hat, war es
für mich einfach befreiend, zunächst einmal und
grundsätzlich auf „Freiheitsboden“ gestellt zu
werden. Es ist bei der Lektüre tatsächlich eine
gewisse Last von mir abgefallen; meine Sichtweise
von manchem hat sich verändert – und das ist
wahrscheinlich etwas vom Besten, was von einem
Buch gesagt werden kann.
Schwächen
(Defizite, Fehler)
Im Lauf der Zeit allerdings stellen sich auch
gewisse Zweifel ein: Ist es wahr, dass wir als
Christen tatsächlich jegliche individuelle Führung
entbehren müssen? Dürfen wir nicht darauf
hoffen, an den großen Weggabelungen unserer
Existenz eine konkrete Führung von oben her zu
erfahren?
Für Letzteres sprechen doch folgende Dinge:
Die Erfahrung mancher biblischer Gestalten,
wie z. B. Paulus: In Apg. 16 z. B. werden er und
seine Mitarbeiter zweimal sehr konkret vom
Geist Gottes daran gehindert, ein bestimmtes
Missionsgebiet aufzusuchen (Apg. 16,6–7). Dafür
wird ihm kurz darauf im Rahmen einer Vision
klargemacht, dass er mit seinen Gefährten nach
Mazedonien reisen und dort das Evangelium
verkündigen soll (Apg. 16,9–10). Sind solche und
ähnliche Dinge wirklich nur „Sonderereignisse im
Rahmen der frühen Missionsgeschichte“?
Die Erfahrung vieler Christen in Vergangenheit und Gegenwart. Ich denke z. B. an
manche Führungen im Leben Spurgeons, in
denen Gottes Eingreifen mit Händen greifbar
war; an viele andere Führungen bekannter
Gestalten der Missions- und Kirchengeschichte
sowie auch an manche meines eigenen Lebens,
in denen ich ganz klar „das Gefühl“ hatte: Gott
macht Programm!
Am schwächsten fand ich die Schlusskapitel
23 und 24, wo es um Gesetzlichkeit und Freiheit
geht, und wo manches unter dem „Gesichts-
punkt der Freiheit“ angesprochen wird (S.
322/323: z. B. „Tabak anbauen“, „Rockmusik
hören“ etc.), was für viele Christen wohl eher
problematisch sein dürfte. Hier ist sicher
aufzupassen, dass „der Freiheitsweg der
Weisheit“ nicht da und dort zur Weltlichkeit
verführt.
BEWERTUNG, OB DIE LEKTÜRE LOHNEND IST ODER NICHT
Die Lektüre von Gary Friesens Buch lohnt sich
auf jeden Fall. Es ist faszinierend, zu verfolgen,
wie er seinen Standpunkt biblisch begründet.
Das will erst einmal widerlegt sein. Dass da und
dort trotzdem ein leichtes Unbehagen und ein
Fragezeichen zurückbleiben, ist nicht weiter
schlimm.
Die neu gewonnene Freiheit wiegt da manches
auf. Und Infragestellungen gewohnter Stand-
punkte, sofern sie begründet sind, sind allemal
fruchtbar und helfen beim persönlichen
Weiterkommen.
Bibliografische Angaben
Verlagsangabe: „Hat Gott einen Plan für mein
Leben? Wie führt Gott? Diese Fragen bewegen
Christen immer wieder. Dabei gestaltet sich die
Suche nach dem Willen Gottes nicht immer
einfach. G. Friesen zeigt in diesem Buch auf, dass
die traditionelle Sicht nicht immer un-
problematisch ist. Er entwickelt als Alternative den
‚Weg der Weisheit‘ und gibt gute Hilfen für
richtige und geistliche Entscheidungen“.
Paperback. 375 Seiten. € 14,95.
jota-publikationen.de
jota-publikationen.de
INFORMATIONEN ÜBER AUTOR, GATTUNG UND ZIEL
Zum Autor selbst (mit Co-Autor
J. Robin Maxson) fand ich im
Internet nur, dass er 1947 geboren
und somit 72 Jahre alt ist. Aus dem
Buch selbst geht hervor, dass er
zumindest zur Zeit der Abfassung
des Buches unverheiratet war
(Friesen 223ff. – und ist!). Seit 1976
arbeitet er als Bibelschullehrer an
der Multnomah University in
Portland, Oregon.
Das Buch gehört zur Gattung „Monografien“: Ein
bestimmtes, biblisches Thema wird ins Blickfeld
genommen und genauer behandelt.
Sein Ziel ist, dem Leser von der Bibel her eine
fundierte Grundlage im Blick auf das Thema
„Entscheidungsfindung im Sinne von Gottes
Willen“ zu geben.
BEWERTUNG ÄUSSERER ASPEKTE
(Druckbild, Edition, Benutzbarkeit)
Das Druckbild ist gut lesbar, wenn auch
typografisch nicht herausragend. Ich hätte dem
Buch ein schöneres Titelbild und eine bessere
Einbandgestaltung gewünscht. Aber die
Paperbackausgabe ist ansonsten in Ordnung und
hat von der Bindung her auch eine längere
Lektüre mit vielen Anstreichungen problemlos
ausgehalten.