Buchrezension zu: „Hilfe, ich muss mich entscheiden“ von Gary Friesen

Autor

Peter Engler

Kategorie

Magazin Ausgabe

2 / 2019

Schilderung des Inhalts

Das umfangreiche Buch entfaltet sein Thema in 24 Kapiteln und ist eingeteilt in vier Teile: 1. Ihr habt gehört, dass gesagt ist – die traditionelle Auffassung; 2. Das Geheimnis des fehlenden Punktes – die traditionelle Auffassung unter der Lupe; 3. Der Weg der Weisheit; 4. Die großen Lebensentscheidungen – Das Weisheitsprinzip angewendet.
Im Zentrum seiner Darstellung steht eine Einteilung von Gottes Willen in drei verschiedene Bereiche – als da sind:
a) Der souveräne Wille Gottes – „Gottes ewiger, geheimer Ratschluss, der den Verlauf der Geschichte bestimmt.“ (Friesen 22) Also, das, was er sich im Blick auf die Weltgeschichte „in großem Stil“ ausgedacht hat, und was er, allen teuflischen und menschlichen Widerständen zum Trotz, in jedem Falle zur Ausführung bringen wird. Dazu gehört die gesamte Heilsgeschichte von Abraham über Christus bis hin zur Neuschaffung von Himmel und Erde.
b) Der ethische Wille Gottes – wie er oft als Prinzip in den Geschichten, oder als Anweisung in den Geboten und Willensäußerungen Gottes in der Heiligen Schrift geoffenbart und verankert ist.
c) Der individuelle Wille Gottes – „Gottes idealer, alle Einzelheiten umfassender Plan, der auf jeden Menschen individuell zugeschnitten ist“ (Friesen 22) – und wie er von vielen Christen als existent angenommen wird: Führung durch „persönliche Bibelworte“ und Verheißungen; durch Bilder, Eindrücke und Visionen; durch Ratschläge von Brüdern und Schwestern; durch das „Schieben“ von Umständen und Verhältnissen etc. Und genau diesen Bereich leugnet Gary Friesen und ersetzt ihn durch das, was er „das Prinzip der Weisheit“ nennt – die Anwendung von Gottes Wort bzw. biblischer Prinzipien auf bestimmte Lebenssituationen und Lebensentscheidungen, wie zum Beispiel Heirat oder Berufswahl oder das Anvisieren einer theologischen Ausbildung mit anschließendem vollzeitlichen Dienst, beim Geben und bei unterschiedlichen Meinungen in der Gemeinde.
Seine These läuft darauf hinaus, dass der traditionelle Weg viele Defekte aufweist und es in vielen Fällen mehr als einen Weg gibt, den wir einschlagen können, und dass Gott es uns überlässt, im Licht seines Wortes, göttlicher Gebote und biblischer Prinzipien weise und angemessene Entscheidungen zu treffen.

BEWERTUNG INNERER ASPEKTE

(Logik und Stil)

Zu Anfang erscheint die gebotene These total überzogen und extrem – man gewinnt fast den Eindruck, der Autor habe ein deistisches Gottesbild: Gott hat uns sein Wort hinterlassen und sich ansonsten davongemacht. Nun sollen wir schauen, wie wir zurechtkommen – freilich unter Anwendung des Weisheitsprinzips
Dann aber staunt man immer mehr, wenn man sieht, wie diese Sicht Seite um Seite durch viele biblische Beispiele intelligent untermauert wird – zum Beispiel am Leben und Dienst des Apostels Paulus und seiner ausgedehnten Missionsreisen.
Der Stil des Buches (bzw. der Übersetzung) ist der einer zwar einerseits schon anspruchsvollen, aber doch gut verständlichen Abhandlung für jedermann. Für den theologisch Interessierten bietet sie aber darüber hinaus allerhand an Material zum Nachschlagen und Studieren. Das Buch liest sich flüssig und streckenweise auch unterhaltsam. Ich persönlich habe es schon zweimal gelesen.

Darstellung der Stärken

Die große Stärke des Buches ist der erfrischend andere Ansatz, wie der Wille Gottes zu finden und durchzuführen sei. Dazu gehört auch eine deutliche Infragestellung des traditionellen Ansatzes mit seiner starken Subjektivität.
Was das Buch innerlich mit einem tut, lässt sich am besten zusammenfassen mit folgendem Satz daraus: „Erleichterung buchstabiert man so: F – R – E – I – H – E – I – T.“ (Friesen 126) Als jemand, der sich über den Willen Gottes in vielen konkreten Fragen seines Lebens auch eher jahrzehntelang den Kopf zerbrochen hat, war es für mich einfach befreiend, zunächst einmal und grundsätzlich auf „Freiheitsboden“ gestellt zu werden. Es ist bei der Lektüre tatsächlich eine gewisse Last von mir abgefallen; meine Sichtweise von manchem hat sich verändert – und das ist wahrscheinlich etwas vom Besten, was von einem Buch gesagt werden kann.

Schwächen

(Defizite, Fehler)

Im Lauf der Zeit allerdings stellen sich auch gewisse Zweifel ein: Ist es wahr, dass wir als Christen tatsächlich jegliche individuelle Führung entbehren müssen? Dürfen wir nicht darauf hoffen, an den großen Weggabelungen unserer Existenz eine konkrete Führung von oben her zu erfahren?
Für Letzteres sprechen doch folgende Dinge:
Die Erfahrung mancher biblischer Gestalten, wie z. B. Paulus: In Apg. 16 z. B. werden er und seine Mitarbeiter zweimal sehr konkret vom Geist Gottes daran gehindert, ein bestimmtes Missionsgebiet aufzusuchen (Apg. 16,6–7). Dafür wird ihm kurz darauf im Rahmen einer Vision klargemacht, dass er mit seinen Gefährten nach Mazedonien reisen und dort das Evangelium verkündigen soll (Apg. 16,9–10). Sind solche und ähnliche Dinge wirklich nur „Sonderereignisse im Rahmen der frühen Missionsgeschichte“?
Die Erfahrung vieler Christen in Vergangenheit und Gegenwart. Ich denke z. B. an manche Führungen im Leben Spurgeons, in denen Gottes Eingreifen mit Händen greifbar war; an viele andere Führungen bekannter Gestalten der Missions- und Kirchengeschichte sowie auch an manche meines eigenen Lebens, in denen ich ganz klar „das Gefühl“ hatte: Gott macht Programm!
Am schwächsten fand ich die Schlusskapitel 23 und 24, wo es um Gesetzlichkeit und Freiheit geht, und wo manches unter dem „Gesichts- punkt der Freiheit“ angesprochen wird (S. 322/323: z. B. „Tabak anbauen“, „Rockmusik hören“ etc.), was für viele Christen wohl eher problematisch sein dürfte. Hier ist sicher aufzupassen, dass „der Freiheitsweg der Weisheit“ nicht da und dort zur Weltlichkeit verführt.

BEWERTUNG, OB DIE LEKTÜRE LOHNEND IST ODER NICHT

Die Lektüre von Gary Friesens Buch lohnt sich auf jeden Fall. Es ist faszinierend, zu verfolgen, wie er seinen Standpunkt biblisch begründet. Das will erst einmal widerlegt sein. Dass da und dort trotzdem ein leichtes Unbehagen und ein Fragezeichen zurückbleiben, ist nicht weiter schlimm.
Die neu gewonnene Freiheit wiegt da manches auf. Und Infragestellungen gewohnter Stand- punkte, sofern sie begründet sind, sind allemal fruchtbar und helfen beim persönlichen Weiterkommen.

Bibliografische Angaben

Verlagsangabe: „Hat Gott einen Plan für mein Leben? Wie führt Gott? Diese Fragen bewegen Christen immer wieder. Dabei gestaltet sich die Suche nach dem Willen Gottes nicht immer einfach. G. Friesen zeigt in diesem Buch auf, dass die traditionelle Sicht nicht immer un- problematisch ist. Er entwickelt als Alternative den ‚Weg der Weisheit‘ und gibt gute Hilfen für richtige und geistliche Entscheidungen“.
Paperback. 375 Seiten. € 14,95.
jota-publikationen.de

INFORMATIONEN ÜBER AUTOR, GATTUNG UND ZIEL

Zum Autor selbst (mit Co-Autor J. Robin Maxson) fand ich im Internet nur, dass er 1947 geboren und somit 72 Jahre alt ist. Aus dem Buch selbst geht hervor, dass er zumindest zur Zeit der Abfassung des Buches unverheiratet war (Friesen 223ff. – und ist!). Seit 1976 arbeitet er als Bibelschullehrer an der Multnomah University in Portland, Oregon.
Das Buch gehört zur Gattung „Monografien“: Ein bestimmtes, biblisches Thema wird ins Blickfeld genommen und genauer behandelt.
Sein Ziel ist, dem Leser von der Bibel her eine fundierte Grundlage im Blick auf das Thema „Entscheidungsfindung im Sinne von Gottes Willen“ zu geben.

BEWERTUNG ÄUSSERER ASPEKTE

(Druckbild, Edition, Benutzbarkeit)
Das Druckbild ist gut lesbar, wenn auch typografisch nicht herausragend. Ich hätte dem Buch ein schöneres Titelbild und eine bessere Einbandgestaltung gewünscht. Aber die Paperbackausgabe ist ansonsten in Ordnung und hat von der Bindung her auch eine längere Lektüre mit vielen Anstreichungen problemlos ausgehalten.